Im Fluss sein

Alles fließt, nichts bleibt

 

Heraklit

(um 520 v.Chr.- um 640 v.Chr.)

 

Als ich meine kleine Werkstatt aufräumte, fiel mir ein abgeschnittenes Stück einer Europalette und ein paar Kieselsteine auf dem Boden ins Auge. Es war so, als ob das Brett und die Steine mir sagen wollten, wirf uns nicht weg, sondern mach etwas mit uns…

 

Doch ich legte zunächst meine „Fundsachen“ auf die Seite und kümmerte mich nicht mehr darum. Die Maserungen im Holz und die Steine mit ihren Farben und Rundungen sprachen mich jedoch immer wieder an und so ging ich dem Ruf von Holz und Steinen nach.

 

Ich teilte das Brett mit der Stichsäge schwungvoll der Länge nach. Dann legte ich beide Hälften so weit auseinander, dass die Kieselsteine gleichmäßig dazwischen passten. Das Bild sprach mich an und ich suchte noch weitere Steine draußen vor dem Haus. Nun befestigte ich eine dünne Platte auf der Rückseite der beiden Holzhälften mit dem entsprechenden Abstand zueinander damit die Steine nicht herunterfallen, wenn ich sie in dem Zwischenraum befestige.

 

Als ich fast fertig war und das Holz vorsichtig schleifte, fiel mir auf, dass die Steine wie in einer Welle hintereinander lagen. Die Woge, wie ich sie nun wahrnahm, war nicht meine Absicht beim Sägen gewesen, sondern sie entstand aus meinem Tun. Mein Blick ging weiter, zunächst auf die Hälfte unterhalb der Welle. Ich erkannte im Holz einen Fisch mit einem großen Auge auf der linken Seite, welches sich durch einen Astring zeigte. Oberhalb der Welle liegt ein behäbiger Wal, dessen Auge durch das Loch eines herausgezogenen rostigen Nagels sichtbar wird. Beide Fische schauen und schwimmen in entgegengesetzte Richtungen.

 

Nachdem mir die Einzelheiten des Gesamtwerkes so deutlich vor Augen geführt wurden, fiel mir der Sinnspruch, „im Fluss sein“ ein. Wenn ich „im Fluss“ bin, dann setzte ich mich mit der gegebenen Situation aus meinem Inneren heraus auseinander und verbinde mich. Ich bin in Beziehung mit mir und nehme den momentanen Zustand an. Alles kann sich verändern, ohne dass ich in diesem Moment weiß oder wissen muss, was zu ändern ist. Das Holz und die Steine haben mir gezeigt, dass alles stets im Prozess ist.

 

Ich erkenne daraus, dass ich mir bei meiner täglichen Arbeit darüber bewusst sein soll, wenn ich ganz bei mir bin und mich auf die Gegebenheiten einlasse, sich auch alles verändern kann.

 

Das bedeutet, dass wenn wir in unserer inneren Verbindung sind, und uns ganz den Dingen hingeben und uns leiten lassen können, brauchen wir nicht gegen etwas angehen.

Aus dieser Dynamik heraus können wir lernen, uns mit der Ruhe der Kieselsteine im Flussbett mit der Welle verbinden.

 

Aus dem Bild erkenne ich für mich, dass selbst dann, wenn der Strom mich im Außen (wieder mal) mitreißt, ich durch die Verbindung nach Innen einen Ruhepol in meinem eigenen Flussbett, in meiner Seele ansteuern kann.

 

Ich kann inneren Frieden und Geduld bewahren, indem ich mit mir im Fluss bin. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Erhardt (Dienstag, 12 September 2023 08:24)

    Lieber Uli,
    ich bewundere deinen Kunstsinn. Ich war letzten Mittwoch in der Staatsgalerie Stuttgart und bewunderte die alten Meister. Dabei dachte ich:" Schade, dass es heute keine Künstler mehr gibt, die so etwas Schönes herstellen können." Nun hast du mir das Gegenteil gezeigt. Wenn man den Blick dafür hat, die Kunst der Natur zu erkennen, handwerklich geschickt ist und dann noch die Gabe der Interpretation hat, dann entstehen auch heute noch Kunstwerke, die zu Bewunderung führen. Ich danke dir, dass du dein Kunstwerk mit uns teilst und Gott dafür, dass wir uns kennen lernten!